Supervisions-Sitzung Irma Steiner - Berufsausbildung B 6
„Der Vogel“ (Einschlafprobleme und Ängste)

Der 11-jährige Junge kann seit längerer Zeit nicht einschlafen. Er kommt jeden Abend völlig verängstigt in das Bett seiner Eltern und muss beruhigt werden. Bisher konnte keine konkrete Ursache für diese Ängste gefunden werden. In der Sitzung wird deutlich, dass die Angst besteht, seit es im Haus gebrannt hat. Der Vogel des Jungen ist dabei im Qualm erstickt. Bei der Erinnerung an dieses Ereignis und an den Vogel beginnt er sofort zu weinen - „Ich konnte ihn nicht retten!“. In der Innenwelt besteht nun die Möglichkeit, diesen Schmerz abfließen zu lassen und zugleich neu zu handeln, um die innere Struktur zu verändern. Der Junge ist begeistert und geht abermals in die traumatische Situation. Er erlebt, wie er den geliebten Vogel rettet und ihn von nun an als unsichtbaren Freund nachts bei sich im Zimmer hat. Tiefe Erleichterung tritt ein. Im weiteren Verlauf werden noch leichtere schulische Probleme bearbeitet. Zum Abschluss taucht schließlich der „innere Heiler“ des Jungen auf, der ihm eine heilsame Medizin gegen seine Angst verabreicht. Seit dieser Sitzung gab es keinerlei Einschlafprobleme und nächtlichen Ängste mehr. Beobachtungszeit: 1 Jahr.1. Sitzung am 17.1.2001
Marlon, 11 Jahre alt, kann seit längerer Zeit nicht einschlafen. Er kommt täglich abends in das Bett der Eltern und muss beruhigt werden. Dabei handelt es sich um Ängste, die Marlon nicht konkretisieren kann und wo die Ursache einfach nicht zu finden ist.


Th: Lass mal die Situation da sein. Es ist Abend und du liegst in deinem Bett. Beschreib mal das Gefühl, das da ist.
Der Therapeut führt den Klienten zu der Stelle, wo dieses Gefühl entstanden ist.
Kl: Es ist so, als ob man vor der Englischstunde steht und die Aufgabe nicht gemacht hat.
Th: Seit wann gibt es dieses Gefühl, lass dir einmal zeigen wo es entstanden ist.
Kl: Eigentlich, seit es bei uns gebrannt hat.
Th: Lass genau diese Situation noch einmal kommen. Lass diesen Tag noch einmal da sein und schau dir alles genau an.
Tiefes Hineinführen zu dem Punkt, wo scheinbar ein Trauma entstanden ist.
Kl: Ich weiß nicht mehr, wie das war.
Abblocken des Kl, um sich diesem Thema nicht nähern zu müssen.
Th: Wie hast du davon gehört?
Kl: Von was?
2. Versuch abzulenken.
Th: Dass es gebrannt hat.
Der Th. führt den Kl. genau dorthin, von wo er flüchten möchte.
Kl: Ich bin selber drauf gekommen. Zuerst habe ich die Aufgabe gemacht, dann sind wir alle hinunter gegangen und haben ferngesehen, auf einmal ist der Strom ausgefallen und die Mama war arbeiten und der Papa war ca. 50 m entfernt beim Vereinshaus. Auf einmal ist der Strom ausgegangen und der Opa hat gesagt, schau einmal, ob der Papa vielleicht irgend etwas macht und den Strom ausgeschaltet hat. Ich habe die Stiege hinaufgeschaut und da ist schon Qualm entgegen gekommen und war schon bis herunten der Rauch. Da hab ich zum Opa gesagt, da brennt es. Der Opa hat vom Telefon den Hörer abgehoben. Der Lars hat die Nummer eingetippt und ich bin vorgelaufen zum Papa und hab ihm alles gesagt. Und dann ist eh gleich die Feuerwehr gekommen und hat den Brand gelöscht.
Das Ereignis ist sofort minutiös da, was wiederum zeigt, wie präsent es im Unterbewusstsein
vorhanden ist.
Th: Und wie geht es dir dabei, lass das einmal wirken. Ist es das gleiche Gefühl, das du kennst, das du am Abend hast, oder ist das ein anderes?
Kl: Es ist ein anderes. Vorher war ich nicht so traurig, weil ich hab einen Vogel gehabt und der ist darin erstickt.
Th: Er ist erstickt, dein Vogel und deshalb bist du so traurig?
Kl: Mhm.
Th Lass mal den Vogel da sein, schau ihn dir an. Sag ihm, es tut dir so leid und bin so traurig wegen dir, sag’s ihm. - Pause - Wie heißt er denn?
Th. führt den Kl. in die direkte Konfrontation mit dem traurigen Ereignis.
Kl: Moritz.
Th: Sprich ihn an, sag ihm, was du ihm sagen willst. - Pause - Kannst du ihn sehen?
Kl: Ja. Moritz, du fehlst mir so und ich bin so traurig. - Er sagt, ich fehle ihm auch. (Der Junge weint.) Er wäre auch gerne bei mir.
Befreiung der blockierten Traurigkeit, indem er seinem Vogel seine Gefühle und
Tränen zeigt.
Th: Sag ihm, dass du nicht mehr schlafen kannst, zeig es ihm wie es dir geht.
Kl: Er sagt, ich soll nicht so traurig sein.
Th: Eine Möglichkeit wäre es, wenn du es oben noch einmal brennen lässt das Zimmer und der Strom fällt aus, der Opa schickt dich nachschauen und du siehst auf der Treppe ist schon der Rauch. - OK und du nimmst jetzt den Schlauch (Th.gibt ihm einen Plastikschlauch in die Hand.) und sagst, das ist jetzt mein Wasserschlauch. - OK. Lauf nach oben und lösche das Feuer und schnapp dir deinen Vogel und lauf so schnell wie möglich wieder zurück. Schau einmal ob du das hinkriegst.
Th: Was ist denn noch wichtig, was musst du noch herausholen.
Kl: Alles andere ist egal. Die anderen Dinge sind nicht wichtig.
Hier zeigt sich, dass der Vogel der zentrale Punkt ist. Die Traurigkeit und die Schuldgefühle bezogen sich darauf, dass es ihm nicht gelungen darauf, dass es ihm nicht gelungen ist, dem Vogel das Leben zu retten.
Th: Dann mach mal was nötig ist.
Kl: Ich bin wieder herunten und hab den Moritz gerettet.
Th: Schau mal was ihr jetzt tun wollt. An welche Stelle soll nun der Moritz. Soll er tief
in deinem Herzen sein, oder an einer anderen Stelle. Frag mal den Moritz und schaut,
was für euch OK ist und was ihr tun wollt.
Kl: Er soll jetzt unsichtbar in meinem neuen Zimmer stehen.
Th: Wie geht es dir dabei? Wir wissen zwar, wie es war, aber für dein Innenbild ist es wichtig, dass du ihn gerettet hast, dass du mit dieser Last nicht jeden Abend schlafen gehst und deshalb ist es wichtig, dass du deinen Moritz jetzt ganz bei dir hast. Frag mal, ob das für ihn auch passt.
Der Th. versucht den Kl. so nahe als möglich im realen Geschehen zu halten. Wendepunkt durch die Rettung.
Kl: Ja.
Th: Jetzt kann er für immer bei dir bleiben, schau mal, ob das wirklich stimmig ist und wie es dir geht.
Aufforderung an den Kl., eine für ihn stimmige Lösung zu finden.
Kl: Es geht mir viel besser.
Th: Schau dir die Situation noch einmal an. Ist an diesem Tag noch etwas Belastendes passiert, was dich nicht schlafen lässt? Ist noch etwas zu tun?
Kl: Nein.
Th: Fühl mal in deinen Körper, ob es noch einen Grund gibt, dass du nicht schlafen kannst.
Kl: Nur vor einem Test, weil ich nervös bin, aber das ist eh logisch. - Lange Pause -
Sonst ist da nichts mehr.
Th: Leg dich noch einmal ins Bett. Es ist Abend. Du willst schlafen.
Kl: Ich dreh mir immer Musik auf, damit ich abgelenkt bin. Manchmal kann ich dann schlafen und manchmal hilft es überhaupt nichts.
Th: Dann gehen wir jetzt in die Zukunft, also einfach 1, 2 Wochen voraus und schau, wie es dir ab heute geht.
Kl: Das kann man so nicht sehen.
Th: Dann lass uns mal dorthin gehen, was in deinem Leben wichtig ist. Was würdest du verändern, dass dein Körper ganz ruhig wird.
Kl: Eine andere Lehrerin, die reden so viel Blödsinn.
Th: Ärgern dich die?
Kl: Die eine Lehrerin muss immer alle Fachausdrücke wissen und wir kennen uns überhaupt nicht aus, was sie meint.
Th: Wirst du da auch bloßgestellt vor der Klasse oder so?
Kl: Nur manchmal, wenn man nicht aufpasst.
Th: Belastet dich die Schule, wenn die Lehrer nicht so ideal sind.
Kl: Ein bisschen schon, in der 1. Klasse ist es noch gegangen in Deutsch und Englisch.
Th: Wie groß ist dieses Problem. Welche Note würdest du den Lehrern geben?
Kl: Es ist kein wirkliches Problem. So 2-3 würde ich geben. Es sind halt viele Kleinigkeiten.
Th: Du hast gesagt, beim Schlafen ist so ein Angstgefühl da. Machen wir vielleicht einen Versuch. - Wir haben jetzt eine Tür vor uns und da steht drauf „ANGST“. Da könntest du einmal hineingehen und schauen, was dir begegnet und was wir da ändern können? Möchtest du das tun.
Kl: Ja, versuchen möchte ich es.
Th: Dann atme mal tief durch und schau dir die Tür an, wie sieht sie aus?
Kl: Eine braune Tür. Ich hab eine zittrige Hand, aber ich geh hinein. - Lange Pause - Es gibt hier nichts, was ich nicht kenne.
Th: Schau dich genau um und zähl alles auf.
Kl: Die Angst, dass es brennt. Die Angst, dass jemand einbricht.
Th: Woher stammt denn diese Angst?
Kl: Vom Fernsehen.
Th: Spür mal dieses Gefühl der Angst in diesem Raum.
Kl: Das ist dieses Gefühl, das ich kenne, beim Einschlafen.
Th: Sag es dem Raum direkt und schau mal, ob er einen Rat für dich hat, frag mal was du tun kannst.
Kl: Ja, er meint, ich soll geduldiger sein und viel unternehmen, damit ich am Abend nicht mehr ganz so viel Energie habe und besser schlafen kann.
Th: Willst du auch den Raum verändern?
Kl: Die Fenster öffne ich ganz weit, damit viel Licht hereinkommt und ich mache einen Fitnessraum daraus.
Th: Aha, da bist du dann müde am Abend?
Kl: Einen Boxsack habe ich auch schon in meinem Zimmer. - Pause -
Th: Was ist jetzt gerade?
Kl: Ich trainiere.
Th: Aha, dann lass es mich wissen wenn du fertig bist. - Pause -
Kl: Jetzt bin ich zufrieden.
Th: Sehr gut. Ja, dann spür mal, wie es dir geht, was mit dem Angstgefühl ist, mit der Zittrigkeit und Unsicherheit. Mach ein kleines Päckchen und gib die Reste hinein. Putz alles sauber. Geh alle Ecken durch und alles kommt in dieses Päckchen.
Kl: Das war eh alles, ich hab nichts mehr gefunden.
Th: Geht es dir gut?
Kl: Ja.
Th: Gibt es noch etwas, was jetzt wichtig ist, was du dir anschauen möchtest?
Kl: Wichtig ist halt die Schule.
Th: Möchtest du da gerne etwas verändern.
Kl: Nur dass ich nicht gerne lernen will (lacht). Aber das ist ja normal, dass man nicht lernen will.
Th: Ja, aber wenn ich das gewusst hätte, dann hätten wir statt einen Fitnessraum einen Lernraum eingerichtet . (beide lachen) Das wäre aber dir dann wieder nicht so recht gewesen. (lachen) - Ja, das ist OK, so dass du keine Ängste mehr hast, schau noch einmal nach, ob alles weg ist.
Kl: Nur die Nervosität vor den Schularbeiten
Th: Die geben wir auch in das Päckchen. Mittels eines Rituals kann die
Angst noch tief greifender aufgelöst werden. (Er nimmt den Vorschlag sofort an.)
Kl: Genau.
Th: Dann müsste es mit dem Schlafen ganz toll klappen. Wie könnten wir das nun für den Körper speichern, dass das ab sofort geht. Hast du eine Idee?
Tieferes Verankern der neuen Situation.
Kl: Mich immer daran erinnern.
Th: Machen wir es ganz einfach, damit du nichts mehr denken musst. Wir könnten einen großen Heiler auftauchen lassen und der hat Tropfen mit und das ist deine Medizin, die dir unglaublich gut tun wird, damit du lustig, gelassen und voller Lebensfreude bist. Willst du das machen? Wäre das eine gute Idee?
Kl: Ja. Es kommt schon ein Mann mit einer kurzen Frisur und einer Brille und einer Medizin, die er für mich mit hat. Eine Flasche mit einer Pipette oben.
Th: Steht da etwas drauf?
Kl: „Gegen Angst"
Th: Ist ja toll.
Kl Er gibt mit ein paar Tropfen. Die schmecken so süßlich-scharf. (Bewegt seine Zunge und fühlt die heilsame Wirkung in sich. Er bedankt sich beim Heiler und lässt die Medizin noch etwas wirken und kehrt dann ganz gelöst und entspannt aus der Tiefenentspannung zurück.)
Marlon konnte ab sofort wieder ruhig schlafen.
Nun ist mehr als ein Jahr vergangen und die Eltern berichteten mir voller Freude, dass dieser Zustand nach wie vor anhält.